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Carl Friedrich v. Siemens empfand seit langem den Benzinmotor und alles was damit zusammenhing, als betriebsfremd. Bei allen möglichen Gelegenheiten: in öffentlichen Reden, privaten Äußerungen und Briefen betonte er immer wieder, daß es die Aufgabe der Firma sei, die Elektrotechnik zu pflegen, die ganze Elektrotechnik freilich, daß sie sich aber davor hüten solle, Dinge aufzugreifen, die nicht auf diesem ihrem eigentlichen Arbeitsfelde lägen. Natürlich kam es immer wieder vor, daß durch besondere Umstände solch ein "Fremdkörper" in den Organismus geriet und kürzere oder längere Zeit in ihm verweilte; dann mußte man eben eine passende Gelegenheit abwarten, ihn zu entfernen. Diese Gelegenheit war jetzt für den Automobilbau gekommen, mit dem sich für Carl Friedrich von jeher die Erinnerung an eine ausgesprochene Fehlentscheidung verband.
Es kam hinzu, daß sich nunmehr die deutschen Grenzen für den Automobilexport aus den Vereinigten Staaten geöffnet hatten und daß man, wenn man mit deren auf hochrationalisierter Fertigung von riesigen Stückzahlen gegründeten Erzeugung in Wettbewerb treten wollte, das nicht mit einer Fabrikationion konnte, wie sie in Siemensstadt betrieben wurde. Der Protoswagen war - zugegeben - technisch vorzüglich durchgebildet, wie alles, was von dort her kam, ein eleganter Wagen für anspruchsvolle Leute, aber viel zu teuer; es hatte keinen Sinn mehr, mit ihm weiteres Geld zu verlieren. Freilich verlief die Operation nicht schmerzlos, denn der rührige und an seiner Aufgabe hängende Leiter des Autowerkes wehrte sich mit seinem Stabe verzweifelt gegen die Auflösung seiner Fabrik, aber Carl Friedrich blieb hart bei seinem Entschluß. Die "Protos Automobile G. m. b. H." wurde an die "Nationale Automobilgesenschaft A. G." verkauft, die auch einen großen Teil des technischen Personals übernahm. Für die frei werdenden Werkstätten in Siernensstadt würde man unschwer andere Arbeit finden. Das Blockwerk hatte für seine Benzinmotoren innerhalb des Hauses noch einen anderen Kunden, der ein ähnlicher "Fremdkörper" war wie das Automobilwerk, obschon von geringerer wirtschaftlicher Bedeutung. Diesem Fabrikationszweig lagen Patente zugrunde, die der schweizerische Ingenieur v. Meyenburg besaß und zu deren Ausnutzung er die "Motorkultur A.G." in Basel gegründet hatte. Meyenburg hatte ein Gerät entwickelt, das er Bodenfräse nannte: ein motorisch angetriebenes Ackerfahrzeug trug rückwärts einen Ausleger, an dem eine senkrecht zur Fahrtrichtung gelagerte drehbare Welle angebracht war.Diese trug krallenartige Schneidwerkzeuge, die federnd an der Welle befestigt waren, die Frisenwelle wurde gegen den Boden gesenkt und zerkrümelte diesen in einer Tiefe von etwa 25 bis 30 Zentimetern. Dadurch sollte die Erde weitgehend aufgelockert und für Wasser und Luft aufnahmefähig gemacht werden, so daß die Bodenbakterien ihre den Pflanzenwuchs nährende Tätigkeit ausüben konnten - was Pflug und Egge hintereinander machten, wollte Meyenburg hier in einem Arbeitsqang viel vollkommener bewirken. An sich war der Gedanke nicht neu, aber die praktische Ausführung war bisher daran gescheitert, daß die auf der Welle sitzenden Klauen oder Messer bei der harten und sehr unregelmäßigen Beanspruchung, wie sie durch stärkere Wurzeln und Steine im Boden verursacht wird, schnell zerstört werden; diese Schwierigkeiten wollte der Erfinder durch eine besondere federnde Befestigung und leichte Auswechselbarkeit der Fräswerkzeuge beheben. In Berlin war im Jahre 1921 die Arbeitsgruppe, die sich mit der Anwendung der Elektrizität in der Landwirtschaft befaßte, auf die Bodenfräse Meyenburgs gestoßen, und da man wieder einmal so weit zu sein glaubte, Bodenbearbeitungsgeräte elektrisch anzutreiben, trat man mit dem Erfinder in Verbindung und schloß einen Lizenzvertrag mit ihm ab. Vorversuche, die das damals noch bestehende Automobilwerk in Verbindung mit dem Dynamowerk gemacht hatte, schienen ein günstiges Ergebnis zu versprechen, und so wurde in Ermangelung anderen Werkstattraumes ein Fabrikgelände in Berlin-Tempelhof gemietet und dort Ende 1922 der Betrieb der Fräsenwerkstatt eröffnet. Gleichzeitig wurde auf dem Gut Gießhof im Oderbruch die "Versuchs- und Lehranstalt für Bodenfriskultur" eingerichtet, denn man sagte sich mit Recht, daß man keine landwirt-schaftliche Maschine entwickeln könne, ohne sie gründlich zu erproben, und zwar nicht nur die Maschine selbst, sondern auch ihre Wirkungen auf den Boden und das Pflanzenwachstums. Um in dieser Beziehung ganz sicher zu gehen, wurde ein bekannter Sachverständiger, Professor Dr. Holldack, als Leiter des Versuchsgutes gewonnen. Natürlich - ist man in diesem Falle versucht zu sagen - ging es dein Elektromotor auf der Bodenfräse nicht anders als früher mit dem Pflug: die Stromzuführung mit dem Schleppkabel erwies sich in der Mehrzahl der Fälle als undurchführbar, und der Benzinmotor triumphierte genau so wie auf dem Automobil. 250 baute ja Benzinmotoren, und so brauchte man sich dieserhalb keine Sorgen zu machen. Wie gewöhnlich zeigte es sich auch hier, daß der Besitz von Patenten allein noch nicht ausreicht, um eine neue Maschine zu entwickeln, und die Schwierigkeiten erwiesen sich als viel größer, als die Optimisten geglaubt hatten. Sie bestanden hauptsächlich darin, daß die Krallen, Messer und sonstigen Schneidwerkzeuge, mit denen die Fräswelle bestückt war, trotz ihrer federnden Befestigung noch immer zu häufig brachen - es bedurfte jahrelanger Überlegungen und Versuche, bis Werkstoff und Formgebung einen einigermaßen zufriedenstellenden Betrieb ermöglichten. Man hatte ursprünglich an zwei Modelle gedacht: ein großes - Gutsfräse genannt - nach Art eines dreirädrigen Traktors geformt, von einem Motor mit 35 PS angetrieben, bei dem der Bedienungsmann auf dem Fahrzeug saß, und ein kleines, für den Gartenbau gedacht, mit einem 5 PS-Motor ausgerüstet, das von dem seitlich oder hinterher gehenden Bedienenden an langem Handgriff gelenkt wurde. Die große Fräse fand in Deutschland keinen Anklang, nur die Russen bestellten sie zeitweise in größeren Stückzahlen, die kleine dagegen führte sich allmählich in den deutschen Gartenbau und in der Forstwirtschaft ein und erwies sich auch als ein ganz guter Exportartikel. Das Blockwerk hatte für den Motorenbau schon vor der Gründung der Vereinigten Eisenbahnsignalwerke außerhalb von Siemensstadt, in Spandau, Werkstätten gemietet, die nach dem Aufhören der Automobilfabrikation in erster Linie Flugmotoren, daneben solche für die Bodenfräse herstellten. Es war aber klar, daß die erstgenannte Fabrikation wenn nicht die bedeutendere, so zum mindestens die interessantere war, und so wurde der Siemens & Halske gehörige Betrieb "Flugmotorenwerk" genannt. Aber im Jahre 1930 ging das Fräsengeschäft infolge der allgemeinen, besonders auch in der Landwirtschaft fühlbaren Wirtschaftskrise so schlecht, daß man beschloß, die besonderen Werkstätten in Tempelhof für die Fräsenfabrikation aufzugeben und diese ins Flugmotorenwerk nach Spandau zu verlegen. So entstand dort ein seltsames Konglomerat, und wenn Carl Friedrich v. Siemens versucht war, diesen Benzinladen, wie er ihn ärgerlich nannte, ganz zu schließen, so wurde er daran immer wieder gehindert durch die ihm vorgetragene Überlegung: dies sei eine große Versuchswerkstatt, die man mit Rücksicht blicken sollte. |